Im Haus
der K�nste
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Bewertung: ���
"Er sah sie wieder auf diesem Stuhl sitzen und spielen. So, wie er sie sein ganzen Leben lang immer gesehen hatte..." (Alexander Bertsch, Sturmsonate, S. 11)
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Vor langer Zeit war das Haus der K�nste ein Ort kultureller Veranstaltungen gewesen. Prosper und Leria haben es dazu gemacht. Eine Folge von tragischen Ereignissen beendete diesen Zustand. Der langsame Verfall war nicht mehr aufzuhalten.
35 Jahre sp�ter kommt Albrecht, der Sohn der ehemaligen Hausmeisterin, zur�ck. Er war seinerzeit ein Sch�tzling von Prosper und der Mann, den sich dieser als Schwiegersohn f�r seine talentierte Tochter Mira h�tte vorstellen k�nnen.
Albrecht trifft in einem Nebengeb�ude der Villa auf Leria, der mittlerweile uralt ist und der ihn �berredet, in die Vergangenheit zu reisen und eine Chronik �ber diese kulturelle Zeit der Villa Obenvelder zu schreiben. Albrecht, zuerst z�gernd, geht auf Lerias Wunsch ein.
"Leria war immer hier gewesen, seit er denken konnte. Der gute Geist der Familie Obenvelder. Er war vor allem Prosper sehr zugetan, war immer zu Stelle, regelte sofort alles, war stets bem�ht. Er war viel mehr als ein Diener. [...] Leria war aber auch mehr als ein Privatsekret�r. Denn er beriet den Hausherrn in vielen Belangen, war ein ausgesprochenes Organisationstalent, half bei den Engagements der K�nstlerlinnen und K�nstler, redete bei der Programmgestaltung mit und war selbst ab und zu der Diskussionsleiter bei den Theaterauff�hrungen." (S. 15)
Albrecht ist Ende 50 und freiberuflicher Musikologe, ein Einzelg�nger. Tut sich schwer mit Beziehungen. Ist zur�ckhaltend, eher unzug�nglich, wird aber im Verlauf der Geschichte zug�nglicher, lockerer, leichter. Er taucht mehr und mehr in die Vergangenheit ein und erf�hrt Geheimnisse von fr�her, bekommt Erkl�rungen. Mit jedem Dokument, das er liest, sieht er klarer und verschwindet in einem Strudel von Freud und Leid.
"F�r Albrecht stellten sich sofort wieder die Erinnerungen ein. Wie oft haben wir hier M�rchen gespielt: Wir wandelten die alten Erz�hlungen um, wir waren selbst die Figuren in den St�cken, variierten sie, f�hrten sie oft zu �berraschenden L�sungen. Mira war die 'sch�ne Lilofee' und ich der wilde Wassermann, der aber niemals b�se sein durfte." (S. 23)
Der Roman Sturmsonate oder die Verg�nglichkeit der Musen [erstver�ffentlicht 2022] von Alexander Bertsch ist ein Theaterst�ck f�r zwei Personen. Albrecht und Leria, die ihrerseits zwei bereits verstorbene Protagonisten, Mira und Prosper, auf ihrer Todesinsel wieder zum Leben erwecken. Leria ist Ariel und will dieses Mal Prosper und Mira befreien. Dann gibt es noch ein paar Nebenrollen. Einmal Ellen, die Mutter von Albrecht und dann die bekannte Schauspielerin D�sir�e, Miras Mutter, die im zweiten Teil des Buches eine kleine Hauptrolle bekommt.
"Der Tag der Er�ffnung des Theaters war gekommen. Eine Schauspieltruppe aus dem Heidelberg-Mannheimer Raum w�rde an zwei aufeinanderfolgenden Abendenden ein St�ck von Jean Anouilh pr�sentieren. �Der Reisende ohne Gep�ck war einer der ersten gro�en Erfolge des franz�sischen Dramatikers in den sp�ter drei�iger Jahren gewesen." (S. 99)
Der Autor schickt den Leser auf einen philosophischen Kulturspaziergang zwischen Musik, Theater und Literatur. Man muss sich auf den Roman einlassen, sonst bleibt die T�r verschlossen und die Musen ziehen sich schon zur�ck, bevor der Vorhang f�llt. Bertschs musikwissenschaftliche Befassung mit einzelnen Werken, vor allem mit der sog. Sturmsonate von Beethoven, l�sst unweigerlich an Thomas Manns Doktor Faustus denken.
"Mira konzentrierte sich kurz, dann begann sie den ersten Satz aus der Sonatine von Maurice Ravel zu spielen. Zart und ausdrucksvoll beginnt das erste Thema in fis-Moll. In weichen Zweiunddrei�igsten-Bewegungen und danach sich mehrmals wiederholenden Dreiklangs-R�ckungen entfalten sich Ravels eindrucksvolle Klangwelten wie aus einer Zauberwelt. Auch dies keine Trauermusik aber die Mischung aus Heiterkeit und Melancholie verfehlt nicht ihre Wirkung auf die Zuh�rer." (S. 201)
Sehr pr�zise und nostalgisch, sehnsuchtsvoll beinahe, verwickelt Bertsch seine Neben- und Hauptdarsteller in Diskussionen, wie sie in den Pariser oder M�nchner Caf�s Anfang des 20. Jahrhunderts stattgefunden haben k�nnten und l�sst uns als stiller Teilhaber, als M�uschen daran teilnehmen.
Leria ist der Deus ex Macchina, der Zeremonienmeister. Der Wind scheint ihn vor vielen Jahren einfach hier, mitten im Garten der Villa, fallen gelassen zu haben. Er muss seiner Aufgabe nachkommen, die Musen am Sterben zu hindern. Diese Figur ist Bertsch besonders gelungen. Lerias Erscheinen in den einzelnen Akten wird immer durch einen leichten Windsto� angek�ndigt, den man beim Lesen sp�rt. Leria ist abgekl�rt, manipuliert, entscheidet, dirigiert, zieht die F�den im Hintergrund. Auch Albrecht folgt seinem Ruf und l�sst sich von ihm zu dieser Chronik �berreden, die ihn wieder in die Zeit seiner Liebe zu Mira schickt. Leria ist der praktische Sch�ngeist, w�hrend Prosper, der Gutmensch, Musik und Theater mit anderen teilen will, er ist ein M�zen. Purer und fanatischer will er, dass seine Tochter zur Elitepianistin aufsteigt. Mira will das ebenfalls und hetzt ihrem Vorbild Clara Haskil hinterher. Nur scheint Lerias Macht irgendwann zu versagen und das Gl�ck entschwindet.
Das Buch ist ein Alterswerk und handelt vom Leben: von Hoffnung, Gl�ck, Ungl�ck, Tod, Aufarbeitung und Ver�nderungen aber auch von der Verwandelbarkeit der Musen, denn sie sind unsterblich, ganz egal wie sie daher kommen. Bertsch oder Albrecht bringen jeden Gedanken zu Ende, �berlassen nichts dem Zufall, bauen aus, sind unsicher, vor allem wenn es um die Kunst im 20. Jahrhundert geht. Sie wagen es nicht wirklich, ihre Meinung zu vertreten und erkennen auf der anderen Seite, dass auch die Musen sich ver�ndert haben, sich verkleiden, um so andere, nicht minder wichtige, Aufgaben �bertragen bekommen haben.
Zum Schluss k�ssen und beschenken die Musen Albrecht reichlich. Er findet seinen Platz an einem bayerischen See, schreibt und musiziert - vielleicht - im Duo.
Und Leria? Wer wei� schon, wohin Zephir ihn getrieben hat und wo er nun gebraucht wird. Seine m�rchenhafte Mission im Haus der K�nste ist vorbei und lebt in Albrechts Chronik weiter.
Christa Blenk - 3. Mai 2024 ID 14728
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